Diversity und Digitalisierung: Was ich als Kind von Migranten über Tech gelernt habe
26.05.2020, 08:00 Uhr Hinweis: Wir haben in diesem Artikel Provisions-Links verwendet und sie durch "*" gekennzeichnet. Erfolgt über diese Links eine Bestellung, erhält t3n.de eine Provision.
AnzeigeMeine Geschwister und ich sind in der schönsten Stadt der Welt aufgewachsen: Hamburg. Als Kinder der ersten Zuwanderergeneration sind wir alle drei begeistert von den Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet. Meine Schwester arbeitet als Softwareentwicklerin für ein Hamburger IT-Unternehmen, mein Bruder hat bereits mit 15 Jahren seinen ersten Hackathon in Norddeutschland gewonnen und ich selbst arbeite als Data-Nerd für eine der größten E-Commerce-Seiten Deutschlands.
Nix mehr verpassen: Die t3n Newsletter zu deinen Lieblingsthemen! Jetzt anmeldenMeine Eltern haben mir wichtige Lehren vermittelt, die meine Arbeit in der Tech-Branche nachhaltig prägen.
Anzeige 1. Programmieren ist wie das Erlernen einer FremdspracheZu Anfang war das Erlernen des Programmierens für mich frustrierend. Ich sah mir Youtube-Tutorials in Dauerschleife an, kaufte zahlreiche Online-Kurse und Bücher. Es vergingen Monate und es war kein Ende in Sicht: Ich verstand die Syntax und das Basisvokabular, aber die praktische Anwendung schlug fehl.
Meine Eltern erinnerten mich daran, dass das Lernen einer Programmiersprache sich nicht allzu sehr von einer Fremdsprache unterscheidet. Die Syntax und Grammatik bilden das Fundament, doch erst das Anwenden und Sprechen führt dazu, dass man die Sprache beherrscht. Statt einer endlosen Kette an Lehrbüchern und Videos begann ich an praktischen Projekten zu arbeiten und lernte dadurch schneller.
2. Du lernst, zwischen 2 Welten zu leben und zu vermittelnLange Zeit wusste ich nicht, wer ich war und wo ich hingehörte. Zu Hause habe ich meine zentralasiatische Kultur gelebt und außerhalb der eigenen vier Wände war ich „die deutsche Mina“, die Bertolt Brecht und Heinrich Heine zitierte. Ähnlich ging es mir auch als Data-Analyst: Ich wusste nicht, dass meine Kommunikationsskills gefragt sind.
Viel später erst wurde mir bewusst, dass ich aus den zwei Kulturen und meinen Fähigkeiten das jeweils Beste entnehmen kann. Mittlerweile bin ich als Data-Evangelist auf Konferenzen unterwegs, wo ich technische Themen einem breiten Publikum zugänglich mache. Ich baue Brücken zwischen Welten – sei es zwischen der Kultur des Herkunftslandes meiner Eltern und der deutschen Heimatkultur oder zwischen Anzugträger mit Schlips und einer Entwicklerin im Hoodie.
3. Du musst offen sein für neue Erfahrungen und keine Angst vor dem Wandel habenMeine Eltern waren schon agil, bevor es ein Modewort war. Angekommen in Deutschland, befanden sich die beiden in einem neuen Umfeld. Die christliche Religion war ihnen fremd. Genau deshalb besuchten sie eine Kirche – um das Christentum zu verstehen. Bei ihrem ersten Gottesdienstbesuch lernten sie, dass Jesus ein Freigeist war, der sich tapfer den Herrschern widersetzte.
Ihre Angst vor dem Fremden hatte sich in Neugierde für das Neue gewandelt. Genau diese Einstellung ist nötig, um die Digitalisierung voranzutreiben: Veränderung sollte als Chance begriffen werden, um Neues zu lernen – nicht als Angst, den Status quo zu verlieren.
In der Tech-Branche ist Agilität ein wichtiger Bestandteil, um erfolgreich neue Geschäftsmodelle, Märkte und Produkte zu entwickeln. Ohne es zu wissen, waren meine Eltern zu Trendsettern geworden.
4. Resilienz ist der Schlüssel, um sich erfolgreich in einem Land oder einer Branche zu etablierenEine Fehlermeldung nach der anderen, stundenlanges Grübeln, mehrere Kaffee intus. Es gab Momente, in denen ich mir die Haare raufen wollte. Wer schon einmal programmiert hat, weiß, dass Fehlermeldungen nicht zwangsläufig den Fehler beschreiben. Häufig wird die Codezeile, in der der Fehler angeblich aufgetreten ist, falsch angegeben. Schlecht erstellte Fehlermeldungen erinnern mich bis heute noch an Briefe vom Amt in unverständlichem Bürokratendeutsch.
Was ich von meinen Eltern gelernt habe, ist, dass ich Resilienz nicht nur in herausfordernden Situationen, sondern auch im Alltag brauche. Sie haben mir die Kunst des Scheiterns und des Wiederaufstehens beigebracht.
5. Lass dich nicht unterkriegen und mach weiter – sei es beim Lernen einer Fremd- oder Programmiersprache!Als ich Freunden erzählte, dass ich den Sprung in die Datenwelt wage und die Schreibfeder für eine Weile ruhen lasse, schmunzelten sie. Sie stempelten das als Phase ab, die sehr wahrscheinlich irgendwann vorbeigehen würde. Mittlerweile sind Jahre vergangen und mein Freundeskreis hat realisiert, dass es sich nicht um einen Trend, sondern eine langfristige Entwicklung handelt.
Meine Eltern haben mir gezeigt, dass es nie zu spät ist, neue Wege zu gehen. Neue Technologien, neue Berufsfelder, Globalisierung, das Leben in fremden Ländern oder Kulturen – die Welt entwickelt sich unabdingbar weiter. Nur durch einen kontinuierlichen Lernprozess ist es für meine Eltern möglich gewesen, ihre Ziele zu erreichen. Damals suchten sie in der Bundesrepublik Deutschland eine Zukunft, in der jeder seinen Traum verfolgen kann. Heute leben meine Geschwister und ich den deutschen Traum meiner Eltern: Selbstverwirklichung, Freiheit und Gerechtigkeit.
Mina Saidze ist als Data Analyst bei idealo tätig. Derzeit leitet sie das Berlin Chapter der internationalen Organisation Women in Data. Zuvor hat sie journalistische Erfahrung bei taz.die tageszeitung, Deutsche Welle und Radio Bremen gesammelt.
Hong Le ist eine Illustratorin und Comic-Künstlerin. Sie studiert Druck- und Medientechnik in Berlin und wurde mit ihrem Instagram-Projekt „woherkommstduwirklich“ u.a. vom Online-Magazin jetzt.de der Süddeutschen Zeitung gefeatured.
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